Freiheit
Welche Werte sind uns gemein? Eine Antwort auf diese Frage hat besonders Shalom Schwartz, ein israelischer Soziologe, geprägt. Er hat Werte definiert, die uns allen gleich sind, in ihrer Gewichtung aber unterschiedlich ausfallen. Er hat zehn Wertekategorien erarbeitet:
- Selbstausrichtung: Das unabhängiges Denken und Handeln einer Person
- Stimulation: Das Streben nach Abwechslung, Vielfalt und Aktivierung der Sinne
- Hedonismus: Die Freude an positiven, nachhaltigen Sinneserfahrungen
- Erfolg: Der persönliche Erfolg, den man durch Selbstwirksamkeit erfährt
- Macht: Der eigene soziale Status und dadurch verfügbare Macht
- Sicherheit: Die Stabilität des sozialen Umfeldes und Beziehungen
- Konformität: Das Streben, nach einem sozialen Rahmen zu handeln
- Tradition: Die Verpflichtung, kulturelle und gesellschaftliche Rituale zu pflegen und Identität zu wahren
- Güte: Das Wohlergehen anderer fördern, altruistisch handeln
- Universalismus: Respekt und Toleranz gegenüber anderen Menschen und der Natur
In modernden, insbesondere demokratischen Gesellschaften gilt Freiheit als hoher Wert und als eine der wichtigsten Errungenschaften der letzten 100 Jahre. Wo findet sich die Freiheit in den von Schwartz definierten Werten?
Gesellschaftlicher Rahmen
Jede Ausgestaltung eines gesellschaftlichen Zusammenlebens bedingt einen Rahmen. Jede kleinste gemeinschaftliche Einheit, bspw. die Familie, kann sich ihre Regeln selbst setzen, welche sie für sich als sinnvoll und hilfreich erachtet. Bilden sich mehrere kleine Einheiten zu einer Gemeinschaft, bspw. als Nachbarschaft, übertragen sich die Regeln der kleinsten Einheit auf die nächst höhere Ebene und müssen für alle ausgehandelt werden. Dabei wird nicht jede kumulierte Regel von allen als für alle sinnvoll angesehen werden. So setzt sich dieser Aushandlungsprozess auf jeder Ebene bis an die äußere Grenze einer Gemeinschaft fort, bei uns erst einmal in Form der Nationalstaaten, in mittlerweile einigen Dingen darüber hinaus auch auf Ebene der Europäischen Union.
Der Mensch als soziales Wesen muss in einer Gemeinschaft seinen Weg von Individualität und Kooperation finden. Die Freiheit des Menschen ist somit ein Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Eigenständigkeit und der Aushandlung gesellschaftlicher Prozesse. Das ist nicht nur die Freiheit, sich frei und ohne Begrenzung bewegen zu können. Besonders die geistige Freiheit ist uns wichtig, die Fähigkeit und Möglichkeit, sich geistig frei und selbstbestimmt entwickeln zu können und individuelle Selbstwirksamkeit zu erfahren.
„Es gibt keine Freiheit ohne gegenseitiges Verständnis.“
– Albert Camus
In theoretischen Überlegungen zur gesellschaftlichen Organisation hat sich im Laufe der Geschichte der Liberalismus als eine der Ideen entwickelt, welche den Aushandlungsprozess zwischen Individualität als Selbstverwirklichung und Kooperation im Staat am besten abzubilden vermag. Geprägt von der Idee der Freiheit soll dem Individuum der größtmögliche Gestaltungsraum ermöglicht werden, um sich selbst zu entfalten. Staatliche Institutionen als Ergebnis einer Aushandlung für die Kooperationsprozesse der Individuen untereinander werden dabei verstanden als Akteure, welche die Freiheit der Individuen zu schützen haben. Dabei hat sich aus dem Liberalismus das Subsidiariätsprinzip herausgebildet. Institutionen haben dabei aber keine hierarchische Funktion und können aus ihrer Stellung einen Herrschaftsanspruch ableiten. Sie haben aufgrund ihrer Macht eine besondere Aufgabe: Sie müssen eine dienende Haltung einnehmen.
Bewertung der Umstände
Jeder Mensch wird in andere Umstände hineingeboren und sozialisiert – jede Familie bringt differente Ressourcen mit sich, die nicht für jeden eine freiheitliche Existenz bedeuten oder ihm ermöglichen. In der Aufklärung entwickelte Kant auf die Frage nach der wertvollen Existenz und derer „gerechten“ Verteilung eine mögliche Antwort: Demnach ist die Entwicklung der Welt zufällig und nicht als Prozess einer Leistung zu sehen. Die Umstände, in denen sich der Mensch befindet, müssten immer anhand der Umstände beurteilt werden, in denen er sich, wenn es der Zufall nicht anders bestimmt hätte, befinden könnte.
Freiheit ist all den eingangs genannten Werten immanent. Die individuelle Freiheit endet da, wo die Freiheit des Nächsten berührt wird. Der Mensch kann sich so weit entfalten, wie ihm nach ethischen Prinizipen Freiheit ermöglicht wird und er bereit ist, für seine Freiheit einzutreten.