Relative Macht

Zum Thema Macht haben sicherlich viele Menschen ein ambivalentes Verhältnis, da ihr zunächst meist eine negative Deutung zukommt. Macht gilt oft als etwas Unheimliches oder etwas Anrüchiges.

So wird Macht oft gleichgesetzt mit der „Kraft des Stärkeren“, mit Macht im Hierarchieverständnis, in Unternehmen oder Staatsformen. Selbst in der Familie und im Freundeskreis treffen wir auf Machtverhältnisse: Wir sind konfrontiert mit Verhältnissen, die sich auf Stärke, Größe, Alter, Wissen, eine Funktion oder Status beziehen. Doch schauen wir bei uns selbst: Auch von uns geht Macht aus, an sich in jeder alltäglichen Interaktion.

 

„Der Mensch ist denselben Gesetzen unterworfen wie die Natur. Macht und Freiheit sind identisch.“
– Karl Marx

 

Um sich dem Thema „Macht“ zu nähern, kann Heinrich Popitz, ein deutscher Soziologe, weiterhelfen, welcher zu sozialen Normen, sozialen Rollen und Gewalt geforscht hat.

Er definiert drei Prämissen von Macht: Sie ist machbar, omnipräsent und freiheitsbegrenzend.

Machbar, von Menschen gemacht. Macht existiert per se nicht, sondern wird von uns im Interaktions- und Kommunikationsgefüge konstruiert. Wir sind also Macher der Macht, was uns zugleich Möglichkeiten eröffnet: Wir können Macht gestalten und verändern.

Macht ist omnipräsent. Sie wurde aus der politischen, soziologischen und wirtschaftlichen Ebene herausgelöst und wird heute in unserem Alltag diskutiert. In allen menschlichen Beziehungen spielt Macht eine Rolle.

Macht ist freiheitsbegrenzend, was natürlich in ihrem Hierarchieverständnis begründet ist. Eine gewollte oder ungewollte Machtausübung stellt immer einen Eingriff in die Selbstbestimmung anderer Menschen dar. Da wir freiheitsliebende Menschen sind und Freiheit in unserer Gesellschaft einen hohen Wert hat, ist eine Machtausübung erklärungsbedürftig.

Popitz beschreibt Macht unter diesen drei Prämissen als etwas, „was der Mensch vermag: Das Vermögen, sich gegen fremde Kräfte durchzusetzen.“ So wenden wir Macht im Kleinen und Großen an: Selbst in der Familie wollen wir etwas – konstruktiv – durchsetzen. Im Weiteren unterscheidet Popitz vier Arten von Macht:

  • Aktionsmacht: Menschen haben Macht über Menschen, weil einer den anderen verletzen kann. Hier geht es also um Gewalt. Gerade in Konflikten ist diese Macht anzutreffen, in psychischer und physischer Form, besonders dann, wenn Menschen auf einer konstruktiven Ebene nicht mehr einander interagieren mögen.
  • Institutionelle Macht: Menschen haben Macht über Menschen, weil sie anderen etwas nehmen oder geben können. Ziel dieser Machtausübung ist es, auf Dauer und geplant Macht auszuüben. Trotz aller Freiheit existieren institutionelle Machtverhältnisse, damit eine Gemeinschaft vieler Menschen funktionieren kann.
  • Autoritative Macht: Menschen haben das Bedürfnis, von Personen oder Gruppen, die als maßgebend anerkannt sind, selbst anerkannt zu werden. An solchen Bestätigungen hängt unser Selbstwertgefühl. Falsch genutzte autoritative Macht ist missbrauchte Macht – sie führt zu Unfreiheit, zu Konformität und Kontrolle. Ausgewogene autoritative Macht führt zu Sicherheit, Selbstwert und Stabilität.
  • Datensetzende Macht haben Menschen aufgrund ihrer technischen Handlungsfähigkeit, ihrer herstellenden Intelligenz. Durch die Veränderung der Natur und Entwicklung von Technologie üben Menschen Macht auf andere Menschen aus, welche sich diese nicht erschließen können.

Verstehen wir Macht als alltägliches Handeln und Verhalten, welches von Menschen geschaffen wird, so können wir uns ihr aus einer anderen Perspektive nähern:

  • Ist mir bewusst, dass ich Macht ausübe?
  • Warum übe ich Macht aus?
  • Muss ich diese Macht ausüben?
  • Wie schaffe ich es, Macht auf Augenhöhe zu schaffen?
  • Wie kann ich meinem Mitmenschen in diesen Machtprozess integrieren?

 

„Man erkennt das Leben erst, wenn es entflieht, und man begreift es erst, wenn man die Macht darüber verloren hat.“
– Francesco de Sanctis

 

Fragen wir uns doch in unseren Beziehungen, welche Bedeutung Macht in diesen hat. Möchte ich Macht ausüben, so greife ich zugleich in die Selbstbestimmung meines Mitmenschen ein. So kann Macht verändert werden vom „Vermögen, sich gegen fremde Kräfte durchzusetzen“ zu „Vermögen, mit gemeinsamer Kraft etwas zu erreichen.“

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